- Ein Dialogformat des CIV HRM e. v. zur Stärkung politischer Teilhabe -
Der Hintergrund
Mit dem neuen Dialogformat „Wir möchten reden!" knüpfen wir an unsere Aktion „Wahlprüfsteine" zur hessischen Landtagswahl 2023 an. Im Vorfeld der Wahl am 8. Oktober 2023 entwickelten wir Fragen zu Themen, die für das Leben hörbehinderter Menschen in Hessen von besonderer Bedeutung sind. Diese sogenannten Wahlprüfsteine richteten wir an die Parteien CDU, Bündnis 90/Die Grünen, SPD, Die Linke und FDP. Sie umfassten sieben zentrale Handlungsfelder:
- Bildung und Erziehung in der Schule
- Schulbau und Sachausstattung
- Inklusiver Unterricht und personelle Ausstattung - Ausbildung und Hochschule
- Kulturelle, soziale und politische Teilhabe
- Gehörlosengeld in Hessen
- Mobilität und Beherbergung
- Gesundheit und Pflege
- Partizipationsfonds für Hessen
Ziel war es, herauszufinden, mit welchen Vorhaben die Parteien die gleichberechtigte Teilhabe hörbehinderter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener fördern wollen. Zu jedem Themenfeld schilderten wir kurz die aktuelle Situation und formulierten Fragen zu Verbesserungsbedarfen. Alle angefragten Parteien antworteten ausführlich und mit durchweg positiver Resonanz. Die Wahlprüfsteine und die Stellungnahmen der Parteien wurden im Juli 2023 auf der Website unseres Verbandes und in den sozialen Medien veröffentlicht. Unsere Mitglieder und Partnerverbände wurden ebenfalls informiert.
Nach der Regierungsbildung im Dezember 2023 wurde der Koalitionsvertrag von CDU und SPD veröffentlicht. Besonders erfreulich war, dass unser Schwerpunkt IV – die Anpassung des Gehörlosengeldes – bereits darin aufgenommen wurde.
Ein Jahr später – Wie geht es weiter?
Unsere Wahlprüfsteine benennen sieben zentrale Handlungsfelder. Doch was passiert nach der Wahl damit? Welche Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation hörbehinderter Menschen in Hessen werden tatsächlich verfolgt? Diese Fragen stellten wir uns gegen Ende des ersten Regierungsjahres von CDU und SPD.
Sollten wir aktiv auf die Politik zugehen und den Dialog suchen? Würden Politikerinnen und Politiker Zeit für ein Gespräch finden? Und könnten wir das mit unseren ehrenamtlichen Kapazitäten überhaupt leisten? Ich war optimistisch: Ja, wir können das!
Die Idee: „WIR MÖCHTEN REDEN!"
Zur Vorbereitung eines möglichen Gesprächs stellte ich das Papier „Wir möchten reden!" zusammen – mit unseren Fragen und den bisherigen Antworten der Politik. In der ersten Vorstandssitzung des CIV HRM e. V. im Januar 2025 brachte ich die Idee ein, auf dieser Grundlage einen Dialog mit den Sprecherinnen für Behindertenpolitik der Fraktionen von SPD und CDU zu suchen.
Der Vorstand gab sein Okay und beauftragte mich mit den nächsten Schritten. Gemeinsam mit Michael Schwaninger (Vorsitzender) sowie Annette Rausch-Müller und mir (beide SHG-Leiterinnen) erklärten wir uns bereit, stellvertretend für unseren Verband nach Wiesbaden zu fahren.
Im März 2025 nahm ich Kontakt mit drei Landtagsabgeordneten auf. Unsere Gesprächsanfrage stieß auf positive Resonanz, und nach kurzer Abstimmung stand Mitte April fest: Das Treffen findet am 6. Mai 2025 statt. Wir waren sehr gespannt.
Das Gespräch in Wiesbaden
An einem sonnigen Dienstag trafen wir uns wie vereinbart am Landtagsgebäude in Wiesbaden. Frau Gießler, die das Gespräch auch moderierte, empfing uns herzlich. Nach einem kurzen Sicherheitscheck und der Ausgabe von Gästeausweisen nahmen wir im Besprechungsraum Platz.
In einer Vorstellungsrunde erfuhren wir, wie Frau Gießler (CDU), Frau Kunz-Strueder (SPD) und Herr Bamberger (CDU) zur Politik gefunden haben, welche Wahlkreise sie vertreten und in welchen Ausschüssen des Landtags sie mitarbeiten. Frau Gießler und Frau Kunz-Strueder haben seit Januar 2024 die Rolle der Sprecherinnen für Behindertenpolitik ihrer Fraktionen inne. Herr Bamberger engagiert sich zusätzlich seit vielen Jahren ehrenamtlich für hörgeschädigte und taube Menschen, unter anderem beim „Runden Tisch Gebärdensprache in Hessen".
Wir schilderten, wie und wozu wir uns als Betroffene im CIV HRM e. V. engagieren, und begannen den inhaltlichen Teil mit den Schwerpunkten „Bildung und Erziehung" sowie „Gehörlosengeld in Hessen". Der Austausch war offen, informativ und konstruktiv. Es zeigte sich schnell, dass die zur Verfügung stehende Zeit nicht ausreichen würde, um alle Themen zu besprechen. Umso erfreulicher war daher der Vorschlag der Abgeordneten, den Dialog in weiteren Gesprächen fortzusetzen. Es wurde vereinbart nach den Sommerferien den nächsten Termin zu suchen.
Nach etwa 75 Minuten endete das Treffen mit einem kurzen Fotoshooting. Frau Gießler begleitete uns anschließend durch die Flure des Landtags zurück zur Pforte. Ein kurzer Abstecher in ihr Büro gab uns zusätzlich Einblick in den herausfordernden politischen Alltag eines Abgeordneten zwischen Hessischem Landtag und eigenen Wahlkreis.
Die zentralen Themen und Ergebnisse
Im Rahmen des Treffens wurde zwei Schwerpunkte vertiefend behandelt: „Bildung und Erziehung in der Schule" sowie „Gehörlosengeld in Hessen". Die Wichtigsten Inhalte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Bildung und Erziehung in der Schule
a) Schulbau und Sachausstattung
Die Abgeordneten teilten unsere Einschätzung, dass bei Neubauten und Sanierungen von Schulen die Umsetzung von Hör-Barrierefreiheit mitgedacht und konsequent berücksichtigt werden muss. Die Standards zur Barrierefreiheit des Landes Hessen werden von den Abgeordneten zur weiteren Klärung, wie die Umsetzung voranschreitet, abgefragt.
Wir haben zudem nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Schulträger (Kreise und kreisfreie Städte) gezielt durch Finanzausstattung und Investitionsprogramme des Landes unterstützt werden sollten, um hörbezogene Barrierefreiheit flächendeckend umsetzen zu können. Dies betrifft auch die technische Ausstattung mit Übertragunsanlagen.
b) Inklusiver Unterricht und personelle Ausstattung
Wir betonten die Notwendigkeit, ausreichend Ressourcen bereitzustellen, um das Recht hörbehinderter Kinder auf gleichberechtigte Teilhabe im inklusiven Regelunterricht sicherzustellen. Dies betrifft sowohl die personelle als auch die finanzielle Ausstattung von Schulen zur Umsetzung inklusiver Schulkonzepte und für die Arbeit der Lehrkräfte in multiprofessionellen Teams.
Darüber hinaus wurde der Mangel an Lehrkräften mit dem Förderschwerpunkt Hören in Hessen angesprochen. Der Bedarf sowie mögliche Maßnahmen zur Ausbildung entsprechender Fachkräftesollen von Seiten der Politik geprüft werden, wurde uns zugesagt. Wir bekräftigten, dass das Studium der Sonderpädagogik in Gießen durch die Fachrichtung Hören ergänzt werden sollte.
2. Gehörlosengeld in Hessen
Es wurde ausdrücklich begrüßt, dass die Koalition plant, das Gehörlosengeld künftig bereits ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 zu gewähren.
Alle Gesprächsteilnehmenden teilten die Einschätzung, dass diese geplante Änderung ein bedeutender Fortschritt für die Unterstützung hörgeschädigter Menschen ist – insbesondere für Trägerinnen und Träger von Cochlea Implantaten.
Wir unterstrichen die Dringlichkeit, die notwendigen gesetzgeberischen Schritte zeitnah in die Wege zu leiten, um eine zügige Umsetzung zu gewährleisten.
Fazit - Es geht weiter!
Das Gespräch im Hessischen Landtag war ein wichtiger und erfolgreicher Schritt auf dem Weg zu mehr gesellschaftlicher und politischer Teilhabe hörbehinderter Menschen in Hessen. Dass unsere Anliegen auf offene Ohren stießen und ein konstruktiver, wertschätzender Austausch mit der Politik auf Augenhöhe möglich war, werten wir als gemeinsamen Erfolg.
Mit unserer Initiative im Dialogformat „Wir möchten reden" ist es gelungen, politische Verantwortungsträger mit den Perspektiven Betroffener in Kontakt zu bringen und zentrale Handlungsbedarfe deutlich zu machen. Die Gesprächsatmosphäre war geprägt von gegenseitigem Interesse und ernsthafter Auseinandersetzung mit unseren Themen.
Eine große Ermutigung ist für uns die Bereitschaft der Landtagsabgeordneten den begonnenen Austausch fortzuführen. Wir blicken motiviert auf die nächsten Gespräche und setzen uns als Verband weiterhin dafür ein, dass die Belange hörbehinderter Menschen in Hessen nachhaltig berücksichtigt und gestärkt werden.
Bericht Adriane Schmitt
Zwingenberg, 24. Mai 2025